Gesundheit - das höchste Gut?

Diesen Beitrag von Manfred Lütz halte ich für derart wichtig, dass ich ihn in Gänze hier einstelle:

Manfred Lütz

Gesundheit - das höchste Gut?

Die religiöse Überforderung des Gesundheitsbegriffs


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2006
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ISBN 3-7616-1905-7



Während man im katholischen Rheinland noch vor 50 Jahren bei irgendeiner gesundheitlichen Not zunächst einmal eine Kerze bei einem der 14 Nothelfer oder beim Heiligen Antonius, dem Fachheiligen für Allgemeinmedizin, anzündete, erwartet man heute auch im katholischen Rheinland das Heil von einer Therapie, die möglichst in Amerika erfunden worden ist, oder - noch besser - von einer Therapie, die vor Jahrtausenden in China erfunden wurde, in mündlicher Tradition weiter gegeben, über den Himalaja nach Indien kam; dort wurde sie auf Pergamentpapier aufgezeichnet und in einer Höhle versteckt,, von einem amerikanischen Jesuiten gefunden, der sie nach Harvard brachte, wo sie auf ihre Effizienz untersucht wurde und jetzt auf der Hohe Straße in Köln zum ersten Mal angeboten wird. Wenn man einmal einen Bestseller schreiben wollte, so ungefähr in diese Richtung müsste das gehen.
Mir geht es in meiner Kritik am allgemein herrschenden Gesundheitswahn gewiss nicht um die Verachtung körperlicher oder seelischer Gesundheit und des medizinischen Fortschritts. Gesundheit ist ein hohes Gut, aber eben nicht das höchste. So habe ich durchaus nichts gegen ein bisschen Wellness und etwas Ausgleichssport. Man soll auch sicher nicht immer nur ungesund essen. Darum geht es nicht. Es geht vielmehr um das Übermaß, um die missionarische Intensität dieses Megatrends.
Die Gesundheitsreligion hat inzwischen auch die christlichen Kirchen erfasst. Keine Geburtstagsfeier über die 60, wo nicht mindestens in einer Festrede der Satz vorkommt: „Und das höchste Gut ist doch die Gesundheit!" Niemals ist in der gesamten philosophischen Tradition des Abend- und des Morgenlandes irgendjemand auf die absurde Idee verfallen, in einem so zerbrechlichen Zustand wie der Gesundheit der Güter Höchstes zu sehen. Bei Immanuel Kant ist das höchste Gut die Einheit von Heiligkeit und Glückseligkeit oder Gott. Dach heute herrscht die Gesundheit majestätisch als höchstes Gut. Das Heil erwartete man früher vom Priester, heute hingegen vom Arzt und vom Psychotherapeuten.
Und so ist auch die Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen, vom ewigen Leben und ewiger Glückseligkeit, restlos säkularisiert. Die letzten Dinge erwartet man nicht mehr in irgendeinem Jenseits, sondern hier und jetzt.
Die Unerreichbarkeit des Ziels zusammen mit seiner religiösen Verklärung sind der Treibstoff für den gewaltigen und jedes Maß sprengenden Gesundheitsboom unserer Tage. Gesundheit bestimmt das ganze Leben. Staatlich geförderte gesundheitsreligiöse Missionskampagnen überschlagen sich; Bonus-Malus-Systeme der Krankenkassen beruhen auf der unbelegten Behauptung, ungesundes Leben belaste die Solidargemeinscbaft, sind in Wirklichkeit aber volkspädagogische Maßnahmen. Man möchte die Deutschen zwingen, gesund zu sein. Es geht um Fitness, Wellness, gesunde Ernährung. Der Slogan „Fit for fun" ist dabei wenigstens ehrlich. Dass Fitness Spaß mache ,"wird da ausdrücklich gar nicht behauptet. Man will sich vielmehr fit machen, um anschließend Spaß zu haben. Doch die meisten Menschen haben nach Beruf, Familie und Fitnessstress zum Spaß einfach keine Zeit mehr.

Gesundheit- was ist das eigentlich?
Das Interessante ist nun, dass alle Welt von Gesundheit spricht, aber keiner genau weiß, was das ist Was Krankheiten sind, wissen wir einigermaßen. Was ist aber eigentlich Gesundheit?
Rudolf Grass, ein bekannter deutscher Internist, führte eine interessante Überlegung in die Diskussion ein. Die Praxis zeige, dass die Zahl der krankhaften Werte mit der Zahl der Untersuchungen zusammenhänge. Macht man bei jedem Menschen fünf Untersuchungen, sind vielleicht noch mehr als 95 Prozent gesund. Bei 20 Untersuchungen sind es noch 36 Prozent und bei 100 Untersuchungen ist mutmaßlich jeder Mensch krank. Daraus folgt: Gesund ist eine Person, die nicht ausreichend untersucht wurde.
Fragen wir die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die für diese Fragen eigentlich zuständig ist, so definierte die vor einigen Jahrzehnten: „Gesundheit ist völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden." Wenn man davon ausgeht, dass wir uns sozial wohl befinden, wenn wir eine Million Euro auf dem Konto haben, und andererseits anzunehmen ist, dass auch Millionäre psychische Probleme haben, ist nach dieser Definition niemand wirklich gesund.
In meiner Not wandte ich mich dann an einen alten Hausarzt aus der Eifel. Wer, wenn nicht er, muss es wissen! Gesund, so antwortete müder erfahrene Kollege, sei ein Mensch, der mit seinen Krankheiten einigermaßen glücklich leben könne. Das ist es! Und das halte ich ganz ernsthaft für den einzig realistischen Gesundheitsbegriff. Oder mit Friedrich Nietzsche: „Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen." Und das ist auch sehr viel näher an der alten hippokratischen Tradition der Medizin. Für Hippokrates gab es nicht Krankheit oder Gesundheit, sondern nur den individuell leidenden kranken Menschen. Jede Diagnose hat schon nach Aristoteles ausschließlich den Zweck der Therapie für leidende Menschen. Eine Diagnose ist kein Wert an sich.
Hans Georg Gadamer, Nestor der Philosophie in Deutschland, hat ein Buch „Über die Verborgenheit der Gesundheit1' verfasst, in dem er darauf hinwies, dass für die Griechen Gesundheit ein. Geheimnis war, ein Göttergeschenk, das durch Krankheiten gestört werden kann. Diese Störungen zu beseitigen, das war die Aufgabe der Ärzte, damit sie dann wieder wirken könnte, jene geheimnisvolle Kraft der Gesundheit, für die man den Göttern nur danken konnte.
Aber das ist weit entfernt vom heutigen Gesundheitsbegriff. Gesundheit gilt - wie alles in unserer Gesellschaft - als herstellbares Produkt: Man muss etwas tun für die Gesundheit, von nichts kommt nichts, wer stirbt ist selber schuld. Und so rennen die Leute durch die Wälder, essen Körner und Schrecklicheres und sterben dann doch.

Erscheinungsformen und Orte der neuen Gesundheitsreligion
Inzwischen sind wirklich alle Phänomene der Religion im Gesundheitswesen angekommen.
Es gibt Irrlehren, die mit inbrünstiger Gläubigkeit geglaubt werden. Je komplizierter die Vorschrift, desto intensiver der Glaube. Blasphemische, gotteslästerliche Äußerungen sind heute in den Medien gang und gäbe. Über Jesus Christus kann man hier zu Lande inzwischen jeden albernen Scherz machen, aber bei der Gesundheit - da hört der Spaß auf.
„Gesundheit" heißt das Zauberwort. Man muss etwas tun, um gesund zu bleiben, zu werden, wieder zu werden. Und die Inbrunst, mit der man sich darum bemüht, sich dafür aufopfert und andere dazu animiert, erinnert an Religion.
Die Gesundheitsreligion herrscht schichten-, partei- und konfessions-übergreifend in jedem Winkel unserer Gesundheitsgesellschaft. Selbst in den kleinen Raucherreservaten, die es noch gibt, raucht man mit schlechtem Gewissen. Denn auch der Begriff- Sünde wird heute eigentlich nur noch gesundheitsreligiös verwendet, zum Beispiel im Zusammenhang mit Sahnetorte. Nur die Gesundheitspäpste können sich jede offensichtliche Unwahrheit erlauben: „Young forever" heißt der Titel eines neueren Gesundheitskatechismus. Das ist glatt gelogen, aber dennoch will es jeder glauben und hat ein verteufelt schlechtes Gewissen, wenn er nicht alles tut, was der Katechismus vorschreibt. Die Gesundheitsseiten in den Journalen schwellen von Jahr zu Jahr an, es mehren sich die Gesundheitssendungen im Fernsehen, die Diäten, die Städtemarathons, die Verehrung von Gesundheitspropheten und Fitnessgurus. Gesundheit genießt maximale religiöse Verehrung.
Diät-Bewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen über Land, in ihrem Ernst die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei weitem übertreffend. Fitness-Studios entstehen inzwischen bei uns an den Stellen, wo früher Marienkapellen entstanden, nämlich an Wegekreuzen.1 Krankenhäuser sind gleichsam die Kathedralen des 20. Jahrhunderts. Jeder durchschnittliche Hausarzt kann inzwischen einem durchschnittlichen Kassen-Patienten Bußwerke auferlegen, die die strengsten mittelalterlichen Ordensregeln bei weitem überschreiten. Das sind Lebensregeln von morgens bis abends.
Die Altreligionen, das Christentum, der Islam und das Judentum könnten im Grunde emanzipatorisch wirken gegen die totalitären Zumutungen der Gesundheitsreligion. Wenn man eine wie immer geartete gesunde religiöse Fundierung hat und nicht in der Gesundheit das höchste Gut sieht, kann man gelassener und in gewisser Weise gesünder mit der Gesundheit umgehen.

Politische Konsequenzen
Das Ganze hat aber sehr ernste politische Konsequenzen. Wenn nämlich Gesundheit tatsächlich das höchste Gut wäre, dann wäre maximale Diagnostik und maximale Therapie für jeden Einzelnen von uns absolute Pflicht der Gesellschaft und des Staates.
Das hat allerdings katastrophale politische Folgen. Ein Politiker, der die Absicht hat, auch weiterhin gewählt zu werden, muss Sätze ausstoßen, die dem Sinne nach bedeuten: Wir wollen für die Gesundheit nicht weniger als alles tun. Solche Sätze gehören zum Ritus. Jeder weiß zwar, dass eine solche Maxime, einmal ernst genommen, zum sofortigen finanziellen Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen würde. Maximale Diagnostik und maximale Therapie sind schon jetzt nicht finanzierbar und würden übrigens das Leben zur Hölle machen. Dennoch, die religiöse Aufladung des Gesundheitsbegriffs macht eine sachgerechte öffentliche Diskussion unmöglich. „Alles medizinisch Notwendige für jeden Bundesbürger muss selbstverständlich geschehen", dieser Satz gehört für jeden Politiker zum Pflichtprogramm. Sobald ein Politiker aber sagen würde, was .nach seiner Ansicht „medizinisch notwendig" ist, und infolgedessen, was nicht „medizinisch notwendig" ist, ist er nicht mehr wählbar. Und so steigen die Gesundheitskosten weitgehend unge-6
bremst. Die Gesamtausgaben der Krankenkassen haben inzwischen den Bundeshaushalt übertroffen. Nimmt man die Kosten für Fitness, Wellness und sonstige gesundheitsfördernde Maßnahmen hinzu, könnte man auf die Idee kommen, die gesamte Volkswirtschaft sei ein Unternehmen zur Herstellung von etwas, das man nie erreicht, nämlich von Gesundheit. Doch jeder Eingriff in die grenzenlose Expansion des Gesundheitswesens steht letztlich unter tabu. Da man dennoch Aktivitäten vorweisen muss, wird in regelmäßigen Abständen der Schwarze Peter den Apothekern, den Ärzten, der Pharmaindustrie, den Krankenkassen oder den Politikern zugeschoben. An den Kern des Problems, die absurde pseudoreligiöse Aufladung des Gesundheitsbegriffs, wagt sich niemand.
Selbstverständlich ist eine maximale Kostenersparnis zu erzielen, wenn man Medikamente bei Aldi verkauft, ärztliche Honorare auf Mindestlohnniveau begrenzt, die Pharmaforschung in Deutschland einstellt, die Krankenkassen auflöst und die Probleme im Gesundheitswesen einfach verbietet, wie es die Ministerin neulich tat. Doch dann hat man keine Medikamentensicherheit, keine Ärzte, keine pharmakologischen Innovationen, keine Mindestabsicherung. Bei den Ärzten hat man die büroicra-tischen und ökonomischen Daumenschrauben bereits überdreht: Schon jetzt gibt es einen Ärztemangel. Und der Ruf der deutschen Pharmaforschung sinkt. Der Verweis auf die üblichen Verdächtigen löst nichts und ist bloß ein Ritual zur Vertuschung der Ratlosigkeit Fernsehdiskussionen von vor vier Jahren über Gesundheitspolitik sind kaum von aktuellen Diskussionen unterscheidbar,
Dennoch, das alles Hegt nicht an den Politikern, sondern an einer im Gesundheitswahn dahintreibenden Gesundheitsgesellschaft, die die Politik immer wieder zu halsbrecherischen Kapriolen aufs Hochseil scheucht. Jede demokratische Gesellschaft hat die Politiker, die sie verdient, und so lange wir in allen Geburtstagsreden von Flensburg bis Passau Gesundheit als „höchstes Gut" preisen, müssen wir uns nicht wundern, dass Gesundheitspolitik eigentlich nicht mehr stattfinden kann. Denn Politik ist die Kunst des Abwägens. Ein höchstes Gut kann man gar nicht abwägen, dafür muss man immer alles tun. So also treibt der gewaltige Ozeanriese Gesundheitswesen dahin und beim Blick auf die Kommandobrücke stellt man fest, dass sie leer ist. Niemand steuert das Gesundheitswesen, solange es niemand wagen kann, in der aufgeheizten gesundheitsreligiösen Atmosphäre auch einmal für wirklich einschränkende Eingriffe zu plädieren. Erst durch tabulose, nüchterne und realistische Abwägung des hohen, freilich nicht höchsten Gutes Gesundheit würde Gesundheitspolitik endlich wieder möglich. Die religiöse Aufladung des Gesundheitsbegriffs hat zum Ende von so etwas wie Gesundheitspolitik geführt. Die Wirklichkeit darf nicht mehr zur Sprache gebracht werden, und es wird nur noch in Leerformeln geredet. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über diese religiöse Aufladung und eine nüchterne Debatte über Gesundheit.
Vor 50 Jahren konnten die damaligen medizinischen Errungenschaften vielleicht noch wenigstens annähernd „solidarisch" für alle ermöglicht werden. Bei den rasanten und unvergleichlich kostspieligeren medizinischen Fortschritten unserer Tage ist eine solidarische Bereitstellung des medizinisch Sinnvollen für alle eine Illusion. Natürlich ist dieses Thema voller sozialer Brisanz. Zwar verdrängen die westlichen Industriegesellschaften schon seit Jahrzehnten, dass medizinische Solidarität gegenüber den Menschen der Dritten Welt, die schließlich über die gleiche Menschenwürde verfügen wie wir, nicht stattfindet. Doch ist es eine neue Situation, dass diese Ungerechtigkeit nun inmitten unserer Gesellschaften zunehmend erlebbar sein wird Man hat sich in über zweihundertjährigen blutigen Kämpfen und vor allem nach dem Scheitern des kommunistischen Experiments einigermaßen daran gewöhnt, die Ungerechtigkeit zu ertragen, die in den unterschiedlichen Vermögensverhältnissen liegt. Warum kann der faule Millionärssohn in Saus und Braus leben und der fleißige Arbeitersohn muss sich plagen? Diese Frage hat heute an Brisanz verloren. Die Frage aber, warum der Arme weniger medizinische Chancen hat als der Reiche, wird zweifellos der soziale Sprengstoff der kommenden Jahrzehnte sein.
Und es gibt auch ein ernstes gesellschaftliches Problem bei der Gesundheitsreligion: Sie ist total egoistisch. Die Hochreligionen Christentum, Islam und Judentum hatten immer einen sozialen Aspekt, Wie die Esoterik ist die Gesundheitsreligion dagegen asozial. Der Esoteriker glaubt nur an seine Sterne, an seine Zukunft. Und der Gesundheitsgläubige interessiert sich nur für seine Laborwerte und seine Prognose. Das macht die Auseinandersetzungen im Bereich des Gesundheitswesens auch manchmal so herzlos und kalt.

Ethische Konsequenzen
Das Ganze hat aber auch sehr ernste ethische Konsequenzen. Unmerklich aber umso wirkungsvoller hat die Gesundheitsreligion das Menschenbild unserer Gesellschaft verändert. Wenn der gesunde Mensch der eigentliche Mensch ist, dann ist der chronisch Kranke oder gar der Behinderte ein Mensch zweiter oder dritter Klasse, dem man den Eingang zum Leben fürsorglich verwehrt oder den Ausgang mitfühlend erleichtert. Und so hat die Gesundheitsreligion inzwischen auch schon ihren Fundamentalismus entwickelt. Der Fundamentalismus der Gesundheitsreligion ist die „Ethik des Heilens".
Die „Ethik des Heuens" ist das Ende der Ethik. Die Ethik war einmal der argumentative kontroverse philosophische Diskurs über Moral. Doch wenn heute jemand „Ethik des Heilens" sagt, ist Ende der Debatte, dann wird es sakral. „Ich weigere mich, einem mukoviszidosekranken Kind zu erklären, aus welchen absurden ethischen Gründen ich ihm nicht helfen soll", so sinngemäß ein bekannter deutscher Politiker. „Wer heilt, hat recht" ist eigentlich ein sehr guter medizinischer Grundsatz. Weist man aber darauf hin, was die scheinbar so absurden ethischen Gründe sind, dass man einen Menschen am Beginn seiner Existenz - einen Embryo also — opfert, um einen anderen Menschen zu heilen, gilt man als zynisch. Das ganze wurde damals im Zusammenhang mit der Debatte über embryonale Stammzellen erwähnt und man behauptete, über embryonale Stammzellen könne man irgendwann einmal die Parkinson'sche Erkrankung heilen. Das ist zwar aus neurologischer Sicht immer noch eher unwahrscheinlich, aber es war damals ein guter Werbespruch.
Wenn wir dennoch einmal für einen Moment davon ausgehen, dass das gelingen würde, und man würde morgen Abend im Ersten Deutschen Fernsehen einen Film über eine solche gelungene Heilung senden: Erst Parkinson-Patient, schwer pflegebedürftig, sich kaum bewegen könnend, dann - nach der Therapie — Tennis spielend.... Das wäre das Ende der Debatte über embryonale Stammzellen in Deutschland. Wer heilt, hat recht. Das Menschenbild der „Ethik des Heilens" widerspricht radikal dem Menschenbild des Grundgesetzes, aber es ist inzwischen zweifellos in unserer Gesellschaft mehrheitsfähig.

Überforderung des Gesundheitswesens
Und schließlich „Ganzheitlichkeit"! Auch hier wäre ein Plädoyer für Nüchternheit angebracht Wir überfordern das Gesundheitswesen mit diesem ganzheitlichen Pathos. Solange es um eine diagnostische und therapeutische Berücksichtigung der verschiedenen medizinischen Aspekte des Menschen geht, insbesondere auch von psychischen Störungen und körperlichen Leiden, hat eine Sicht aus verschiedenen Perspelctiven ihr Gutes. Aber das Ganze, die gesamte ganzheitliche Existenz des Menschen in den Blick zu nehmen, das ist niemals ein wissenschaftlich-medizinisches, wohl aber ein religiöses Unterfangen. Das ganzheitliche Krankenhaus überfordert seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ein guter Chirurg, der brillant operiert, ist nicht selten jemand, der nicht sehr eloquent ist. Und jemand, der gesprächsweise sehr gut ist, ist möglicherweise technisch nicht so begabt. Die Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten, Natürlich mag es den Chirurgen geben, der morgens fünf Stunden lang gegen den Tod kämpft, bei einer Operation das Letzte gibt und sich nachmittags an das Bett eines Todkranken setzt und - in der Haltung der Hinnahme des Unvermeidlichen - Sterbebegleitung leistet und fällig ist, mit dem Patienten mitfühlend zu schweigen. Aber .seien wir realistisch. Es wird'sehr selten vorkommen, dass ein einzelner Mensch diese beiden Eigenschaften in sich vereint. Und auch viele Krankenschwestern sind heute frustriert, weil sie „viel zu wenig Zeit für Gespräche mit den Patienten" haben. Es ist beliebt und sichert den Beifall von allen Seiten, darüber zu Idagen. Gewiss, daran mag manchmal auch Wahres sein, doch sind das nicht mehr die Projektionen und Sehnsüchte einer Gesundheitsgesellschaft, die von uns irgendwie „das Heil" verlangt? Die Gespräche, die in der Familie, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis nicht mehr geführt werden, die kann jetzt nicht die Krankenschwester fuhren. Das Krankenhaus ist keine Heilsanstalt. Solche hehren Wünsche sind eine Überforderung für die Medizin.
Ich wünsche mir eine nüchterne, eine gute, eine fachlich qualitätsvolle Medizin. Natürlich bin ich auch dafür, dass man mit dem Patienten sprechen .soll. Selbstverständlich bin ich auch für eine humane Medizin. Doch diese religiös schwülstige Aufladung des Gesundheitsbegriffs halte ich für gefährlich. Die Gesellschaft leistet sich auf diese Weise in unserem Gesundheitswesen eine gigantische und wahnsinnig teure spanische Wand, hinter der die „Grenzsituationen menschlicher Existenz", wie Karl Jaspers sie nennt, zum Beispiel Behinderung, Krankheit, Leiden, Schmerzen, Alter, Sterben, Tod versteckt werden.
Die Gesundheitsreligion treibt den Arzt in die Rolle eines Halbgottes, einer letzten Instanz für Leiden und Tod Doch zum Sinn und zum Heil hat die Medizin letztlich nichts zu sagen. Zu Sterben und Tod hat ein altes Mütterchen aus der Eifel viel mehr zu sagen, als ein junger Assistenzarzt, der gerade einmal ein EKG ableiten kann. So produziert die Heilssehnsucht der Menschen heute eine totale Pathologisierung und Frustration. Wir schaffen uns gewaltige Verdrängungsapparaturen, sprechen von einer medizinischen Über- und einer emotionalen Unterversorgung. Es gibt ein heilloses Bild ohne Horizont. Je mehr akute Krankheiten geheilt werden können, desto mehr chronische werden deutlich. Man kämpft gegen den „Krebs". Doch „Krebs" ist gar keine Krankheit, es ist ein Laienbegriff, der sehr unterschiedliche Krankheiten zusammenfasst. Aber es geht auch nicht um eine Krankheit, Wer gegen Krebs streitet, streitet gegen den Tod. Doch das Tragische ist: Um den Tod zu vermeiden, nehmen wir uns das Leben, nämlich ungeheuer viel unwiederholbare Lebenszeit in Fitnessstudios, Wellness-Einrichtungen, beim Arzt und bei der neuesten Diät Der. Tod aber ist ein religiöses Thema und dazu hat die Medizin absolut nichts zu sagen. Auf diese Weise dringt leise durch den ganzen aufgeregten Gesundheitstrubel der Satz des großen dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard, der einmal gesagt hat: „Der Spaß, eines Menschen Leben für einige Jahre zu retten, ist nur Spaß. Der Ernst ist: selig sterben."

Krankheit, Behinderung und die Frage nach dem Sinn des Lebens
Stellen wir einmal folgende Berechnung an: Wenn all die Situationen, die die Gesundheitsreligion für defizitär hält, von der Lebenszeit weggerechnet werden, also die Zeiten von Behinderung, Kranldieit, Schmerzen, Leiden, Alter und Sterben, dann blieben nur noch 9,82.Prozent der Lebenszeit als lebenslustfähige Zone. Lebenskunst kann also dann nur heißen, auch in diesen „Grenzsituationen menschlicher Existenz" eben nicht nur Defizite zu sehen, sondern Quellen des Glücks eines Lebens.
Behinderung lcann auch eine Fähigkeit sein. Demosthenes war der größte Redner der Antike. Und was war das Geheimnis seiner Redekunst? Demosthenes hatte eine schwere Sprachbehinderung und hat mit Steinen im Mund gegen die Meeresbrandung angebrüllt. Und er wurde der größte Redner der Antike. Homer war der größte Dichter der Antike. Herrlich dargestellt, wie er seherisch in die Ferne schaut. Und was war das Geheimnis seiner Seherkraft? Homer war blind. Und die bedeutendsten Symphonien schrieb Ludwig van Beethoven, als er taub war. Stephen Hawking, der Physiker im Rollstuhl, hat über sich selbst gesagt, er hätte nicht eine Welt in seinem Kopf entstehen lassen können, wenn er nicht durch seine Behinderung der Welt so wenig mächtig gewesen wäre. Ich glaube also: Eine Gesellschaft ohne Behinderte wäre nicht nur eine weniger menschliche, nicht nur eine .weniger farbige, sondern auch eine weniger leistungsfähige Gesellschaft.
Kranldieit lcann ebenfalls eine Chance sein. Mancher Manager, vielleicht wegen einer Banalität im Krankenhaus, fragt sich möglicherweise zum ersten Mal in seinem Leben, was all der übertriebene Stress eigentlich für einen Sinn hat und geht einen neuen Weg.
Schmerzen und Leiden! Marcel Reich-Ranicki hat gesagt, jede gute Literatur habe mit Leiden zu tun. Papst Johannes Paul II. hat zu Beginn seines Pontifikats ein höchst eindrucksvolles Schreiben verfasst mit dem Titel „Salvifici doloris": „Über die heilbringende Kraft menschlichen Leidens". Und dass dieser Papst, das, was er damals schrieb, am Ende seines Lebens lebte, gehört für mich zum Beeindruckendsten dieses Mannes. Die berührendste Szene im Heiligen Jahr 2000 war für mich, als der alte, kranke Papst in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel stand. Wie er da mit brechender Stimme das Entsetzliche dieses Völkermords zur Sprache brachte, das war zutiefst beeindruckend. Wenn da ein junger und dynamischer Papst gestanden hätte, dann hätte das wohl kaum einen so tiefen Eindruck hinterlassen können.

Alter, Sterben und die Lust am Leben
Damit sind wir beim Thema Alter. In höchst fürsorglichen Artikeln in jeder beliebigen Tageszeitung wird der alte Mensch nur als Objekt der Sorge und nicht als Subjekt, als Schatz der Gesellschaft gesehen. Während des Philosophiestudiums wurden wir in einem Seminar gefragt, was eine glückliche Gesellschaft sei. Eine Gesellschaft, die die Jugend ehre oder eine Gesellschaft, die das Alter ehre? Es gäbe darauf nur eine richtige Antwort. Es gelang dem Professor eindrucksvoll klarzumachen, dass nur eine Gesellschaft, die das Alter ehre, eine glückliche Gesellschaft sei. Ehre man nämlich die Jugend, dann sei schon für den jungen Menschen-der Blick in die Zukunft ein Blick ins Düstere eines unaufhaltsamen Abstiegs und der Blick in die Vergangenheit die Vergegenwärtigung eines unwiederbringlichen Verlusts.
Lebenslust erlebt man nur, wenn man bei der Sache ist, wenn man den Moment in seiner Farbigkeit und Intensität spüren und schmecken kann. Und daher gilt: Wer stets den Tod verdrängt, verpasst das Leben. Trotzdem macht es noch einen großen Unterschied, wie man den Tod, den nichtverdrängten, dann sieht.
Die Sehnsucht der Gesundheitsgläubigen nach unendlichem Leben, danach nicht sterben, zu müssen, das wäre für Platon die Hölle gewesen. Alles könnte man irgendwann wieder ändern, es wäre alles gleichgültig. Nur dadurch, dass wir sterben, wird jeder Moment unwiederholbar wichtig.
Wir leben heute in einer Videomentalität, als könne man alles auf Video aufzeichnen und wiederholen. Das ist Voraussetzung für fröhlichen Atheismus. Nichts können wir wiederholen. Der Moment, den wir jetzt erleben, ist niemals wiederholbar. Wir können uns noch einmal treffen,, dann ist der eine oder andere von uns gestorben und wir alle haben andere Lebenserfahrungen gemacht. Nichts ist wiederholbar!
Wie kann man Lust am Leben wirklich erleben? Im Bewusstsein der Unwiederholbarkeit jedes Moments, in Muße, wie .die Alten gesagt haben. Völlig zwecklos, aber höchst sinnvoll durch den Wald gehen, nicht mit einem Buch „Mein Wald gehört mir" oder aus Gesundheitsgründen, sondern einfach um diese unwiederholbare Zeit zu genießen. Oder eine wunderschöne Melodie im Autoradio hören und nicht gleich fragen, wo bekomme ich das auf CD, wie kann ich das wiederholen. - Nichts können wir wiederholen. In solchen Momenten kann man den Sinn des Lebens berühren.
Menschen, denen eine Krebsdiagnose gestellt wurde, berichten, dass sie zwar von dieser Nachricht erschüttert wurden, dass sie seitdem aber das Leben viel intensiver erlebten, die Farben eindringlicher, die Töne deutlicher wahrnähmen und die Unwiederholbarkeit jedes Moments erstmals ganz bewusst erlebten. Fast jeder bedauert, dass er nicht schon vorher so gelebt hat.
Sterben ist wie Geburt ein höchst persönlicher, existenzieller Vorgang. Er gehört zum Leben dazu und daher wollen Menschen mit Recht möglichst da sterben, wo sie gelebt haben: zu Hause im Kreise ihrer Angehörigen oder, wenn das organisatorisch nicht geht, vielleicht in einem Hospiz, in der letzten Herberge auf dem Weg in die Ewigkeit, wie der Gründer der Hospizbewegung in Deutschland, der Oratorianerpater Dr. Paul Türks, das nannte. Gute Hospize sind durchaus Orte der Lebenslust und sie unterstützen alles, wodurch man länger Spaß am Leben hat. Sicher wird auch weiterhin im Krankenhaus gestorben und bisweilen ist das zweifellos der richtige Ort, weil hier unersetzliche Hilfen zur Verfügung stehen. Auch bei diesem Thema ist jede Einseitigkeit schädlich. Dennoch hat das Sterben im Krankenhaus keine Heimat. Vor allem bietet es viele hoch professionalisierte Möglichkeiten, Sterben und Tod zu verdrängen.
Die mittelalterlichen Menschen hatten einen faszinierenden Gedanken. Sie kannten Heiltümer, Bilder, vor denen man gesund werden konnte. Ein solches Heiltum war der Isenheimer Altar in Colmar im Elsass. Ursprünglich stand er im Antoniterhospital in Isenheim, und die Betten aller Kranken waren auf dieses ergreifende Werk von Matthias Grünewald gerichtet. Die Menschen glaubten, wenn man das von morgens bis abends sah, dann konnte man gesund werden. Ich bin schulmedizinisch ausgebildet, aber ich glaube, dass hier die mittelalterlichen Menschen Recht hatten. Vor dem Isenheimer Altar in Colmar kann man gesund werden. Vor dem Isenheimer Altar in Colmar kann man religiös werden, so wie vor der Assunta von Tizian in der Kirche Santa Maria dei Frari in Venedig oder vor der Pieta von Michelangelo in Sankt Peter in Rom.
Ernst Bloch, marxistischer Philosoph, und Gabriel Marcel, katholischer Existenzphilosoph - beide alte Männer, beide über SO - waren in einer Fernsehdiskussion in allem unterschiedlicher Meinung. Aber am Schluss konnten beide Männer sich auf eines einigen: Das Ewige, das Transzendente könne man schon in diesem Leben erleben. Und zwar in der 9. Sinfonie von Beethoven. Da lächelten die beiden Männer, die bald darauf starben, weil sie noch etwas gefunden hatten, worauf sie sich einigen konnten,
Und ich glaube wirklich, wer Sinn dafür hat und das „Laudate Dominum" aus den „Vesperae solemnes de Confessore" von Wolfgang Ama-deus Mozart hört, der erlebt Ewigkeit, die die Zeit sprengt, der kann der Welt im Ganzen zustimmen. Heinrich Schipperges, der große Arzt und Philosoph aus Heidelberg, hat einmal gesagt: „Um gesund zu sein, muss man der Welt im Ganzen zustimmen."

Heilung und ganzheitliches Heil
Gesundheit ist wichtig. Der Apostel Paulus bezeichnet den Leib als Tempel des Heiligen Geistes. Wir glauben an die Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes. Christus heilt nicht nur die Seele, sondern sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben" und „Steh auf, nimm dein Bett und geh!" Die Apostel werden gesendet, „das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen". Christus wird von den Kirchenvätern „der Arzt" genannt.
Das Christentum macht nicht Halt beim bloßen Streben nach Gesundheit Es lebt aus der Gewissheit einer letzten Erfüllung in der Liebe zum Nächsten und zu Gott. Und im Erlebnis dieser Liebe „wollen" die Christen nicht bloß Ewigkeit, sie erleben sie bereits für Momente.
Ob solche Ewigkeit aber für sie persönlich Bestand hat, das können Menschen dennoch nicht wissen. Die Christen wissen nicht nur, vielmehr sie sind sich gewiss, das heißt sie glauben, dass durch Jesus Christus das Heil wirklich gekommen, der Tod wirklich überwunden und ewiges Leben wirklich und verlässlich eröffnet ist. Und so strahlt für sie das ewige Leben sein Licht bereits in dieses Leben hinein, nicht bloß als Option für irgendwann einmal, sondern schon als Ereignis. Was sie in der Musik, in der Liebe, in der Kunst und den vielen anderen so genannten transzendentalen Erfahrungen ergreifend erleben, das ist nicht melancholische Erinnerung an ein für immer verlorenes Paradies und auch nicht schmerzliche Ahnung von etwas, für das man nicht bestimmt ist. Vielmehr können Christen in diesen Momenten höchsten leibhaftigen Glücks, die in jedem Leben immer nur vorübergehend sein können, das dauerhafte Glück vorkosten, das sie erwarten, Und das begründet christliche Lebensfreude und christliche Lebenslust,
Wenn das Heil in dieser Welt gehobener Ansprüche also nicht produzierbar ist, auch nicht auf Krankenschein mit den Mitteln der Medizin, so ist es doch erfahrbar: nämlich als Sehnsucht nach dem Heil, als Ahnung des Heils in den Fragmenten eines Lebens und an den Grenzen der Existenz. In diesem Sinne gibt es auch keine endgültige und ganzheitliche Heilung. Heilung bleibt immer Fragment und als solches offen für das sich ereignende Ganze, für das Heil, und erfährt von dort sogar seinen Sinn. Und das Ganze ist nie bloß individuell. Der Mensch ist ein soziales Wesen und daher bleibt die gängige Vorstellung einer rein individuellen Gesundheit inmitten der Heillosigkeit der Welt immer abstrakt.
Indem der Mensch auf diese Weise bewusster als Mensch lebt, wird er sozusagen mehr Mensch und weniger Maschine, die bloß berechenbar und reparierbar ist; ihm wird klar, was er wirklich ist, nämlich ein unermessliches, undefinierbares, unverfügbares Wesen. Dem muss der Arzt gerecht werden, der mehr sein will als nur kenntnisreicher Mediziner. Er kann das weder als der göttergleiche Philosoph der griechischen Antike noch als der göttliche Macher der Moderne. Vielmehr wird er bescheiden sein müssen und die Fähigkeit benötigen, zwischen der gelassenen Hinnahme des Unvermeidlichen und der entschiedenen heilenden Erreichung des Möglichen zu unterscheiden. Dazu bedarf es mehr als eines Studiums, dazu bedarf es der Weisheit, die die Erfahrung eines Lebens schenkt. Ohne eine solche Weisheit wird die Medizin barbarisch werden.



Anmerkungen
1 Im Zusammenhang mit den Recherchen zu meinem Buch rief ich beim Deutschen Fitnessstudio-Verband an. Man teilte mir mit, dass die Zahl der Fitness-studio-Mitglieder in Deutschland von etwa 100.000 im Jahr 19S0 auf 4,59 Millionen im Jahr 2000 hochgeschnellt ist. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz ist im gleichen Jahr die Zahl der katholischen Sonntagsgottes-dienst-Besucher auf 4,42 Millionen zurückgegangen. Man kann daher das Jahr 2000 als ein Wendejahr bezeichnen. Die Gesundheitsreligion hat bei uns zumindest die katholische Variante des Christentums überholt, wobei es natürlich große Schnittmengen gibt: Pfarrer im Fitnessstudio usw.

Literaturhinweise
Die Thesen dieses Beitrags sind näher ausgeführt im Buch des Autors: Lutz, M., Lebenslust - Über Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitswabns. München: Droemer Verlag 2006.
Bergdolt, IC, Leib und Seele. Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens. München: C.H. Beck, 1999.
Gadamer, H.-G., Über die Verborgenheit der Gesundheit. Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1993.
Hauner, A., Reichart E. (Hrsg.), Bodytallc Der riskante Kult um Körper und Schönheit. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004.
Lederhilger, S. J. (Hrsg.), Gott, Glück und Gesundheit Erwartungen an ein gelungenes Leben. Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang, 2005.
Scllipperges, H., Die Kranken im Mittelalter, München: C.H. Beck, 2. Aufl. 1990. Schipperges.'H., Moderne Medizin im Spiegel der Geschichte. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 1970.
Schumpelick, V., Vogel, B, (Hrsg.), Grenzen der Gesundheit Freiburg: Verlag Herder, 2004.

Zur Person des Verfassers
Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt in Köln.